Extrascharf

Die Glocke über der Tür läutet, als Hertha Schulze das Café betritt. Gabi winkt ihr zu. Seit fünf Jahren sitzt sie jeden Mittwoch am Fenster, und wie immer ist sie pünktlich. Hertha zerrt ihren Hackenporsche hinter sich her, schiebt sich an den Tischen vorbei.

“Grüß dich Gabi. Warteste schon lange? Meine Aushilfe kam mal wieder zu spät, und ick kann doch meine Currywurschtbude nicht alleene lassen. Und denn war ick noch kurz uff’m Markt.“

“Das ist jedes Mal das gleiche mit dir. Kannst du nicht an einem anderen Tag einkaufen? Muss es immer Mittwoch sein?“

“Ja, det muss! Weil Donnerstag immer … Ach, du hast schon Kuchen bestellt? Du bist’n Schatz. Nirgends schmeckt er so gut wie hier.“

“Da hast du Recht“, sagt Gabi und faltet eine Zeitung zusammen.

“Du hast Zeitung jelesen?“

“Ja. Und weißt du schon das Neueste? Die VHS wird einhundert Jahre alt. In Hamburg habe ich mal einen Französischkurs gemacht.“

“Ach, du mit deine alten Jeschichten. Wen interessiert schon Hamburg? Hier is Berlin. Hier tobt der Bär.“

“Du tust, als wäre alles super hier. Und Berlin wäre der Nabel der Welt.“

“Isset ooch! Wat denkste denn, warum Berlin die Hauptstadt is?“

“Aber das ist doch nun mal interessant. Wenn hier alles so super ist, dann sag mir doch, wann ihr die zehnjährige Nicht-Eröffnung eures Flughafens feiert?“

“Da musst du jar nich druff rumreiten. Mit eure Elbphilharmonie hat’s ja ooch ewig nich jeklappt.“

“Jetzt ist sie aber fertig. Und der Hamburger Hafen wird achthundertdreißig Jahre alt.“

“Na und? Essen die Menschen deshalb jetzt mehr Wurscht? Mich interessieren nur meine eigenen Jubiläen. Mein Würstchenstand zum Beispiel, den habe ick uff’n Tag jenau zwanzig Jahre und drei Wochen.“

“Na ja, gegen meine fünfundzwanzig Jahre bei der Post ist das nichts.“

“Na und? Seit fünfundzwanzig Jahren feiere ick mein eigenes Jubiläum, nämlich meinen Jeburtstag.“

“Irgendwann wird’s dann peinlich.“

“Wen interessiert’s? Willste noch’n Stück Butterkuchen, Gabi?“

“Ich weiß nicht, Hertha. Ich muss doch auf meine Linie achten. Aber heute kann ich ruhig reinhauen, denn morgen gehe ich wieder ins Fitnesscenter.“

“Ick versteh dir nich. Erst futterste dir alles teuer uff de Hüften, und denn zahlste dafür, dasset wieder runterkommt. Zu so wat habe ick keene Lust.“

“Aber ich halte schon seit zehn Jahren mein Gewicht.“

“Als ob det entscheidend wäre.“

“Mein Helmut mag nur schlanke Frauen. Seit fünf Jahren mache ich jeden Donnerstag Bauch Beine Po.“

“Ja und? Seit fünf Jahren treffe ick mir jeden Donnerstag mit eenem netten Mann.“

“Du? Das hast du mir nie erzählt. Wie hast du den kennengelernt?“

“Jenau wie dich, an meiner Wurschtbude. Er wollte ’ne Currywurscht, extra scharf.“

“Und wie sieht er aus?“

“Mittelgroß, mittelschlank, mittelalt. Er ist sehr charmant, bringt mir jedes Mal Blumen mit. Deshalb jeh ick jeden Mittwoch uff’n Markt, und denn koch’ ick uns wat. Scharf mag er’s nämlich nicht nur die Currywurscht. Außerdem liebt er jedet Gramm an mir. Nimm bloß nicht ab, hat er zu mir jesagt.“

“Ich glaube dir kein Wort.“

“Det kannste aber ruhig glooben. Warte mal.“ Hertha holt ihr Handy raus. „Hier hab ick een Foto von ihm.“

“Zeig mal … Aber das ist ja, das ist mein Mann! Und das seit dreißig Jahren.“

 

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